Kann Englisch: ein Freiherr als Chef-Ökonom der Krisen-Republik Februar 9, 2009
Posted by etiennerheindahlen in Abgeordnete, Berlin, Bundesregierung, Bundestag, Hauptstadt, Krisen-Management, Politik, Wirtschaftskrise.Tags: CSU, Glos, Guttenberg, Merkel, Politik, Politiker, Rücktritt, Regierung, Seehofer, Wirtschaftsminister
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Und „zooooommm…!!!“ – schon ist er da, unser neuer bundesdeutscher Polit-Superstar: Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg. Glatte zehn Jahre jünger noch als Obama und wie jener mit Asteroiden-Geschwindigkeit aus dem dunklen Polit-Universum mitten in das uns überspannende Firmament der Macht geflasht. Und nun funkelt und blitzt dieser neue Strahlemann aus Seehofers „Einsatzreserve“ nach seinem kurzen Intermezzo als CSU-Generalsekretär – und niemand könnte jetzt detailliert begründen, was den „Summa cum laude“-Juristen denn nun konkret zum Wirtschaftsminister qualifiziert.
SPIEGELonline weiß zu berichten, dass Seehofer auf einer Pressekonferenz von der Eloquenz des Auftretens des von Guttenberg auf der „Sicherheitskonferenz“ vom vergangenen Wochenende nachhaltig schwärmte („beneidenswertes Auftreten“). Besonders soll der eher bodenständig artikulierende Ober-Bayer dabei die Fremdsprachenkenntnisse von Guttenbergs hervorgehoben haben. Es stimmt schon, dass verhandlungssicheres Beherrschen der englischen Sprache eine der grundlegende Einstellungs-Voraussetzungen für Spitzenpersonal in der globalisierten Wirtschaft ist (auch wenn über die Fremdsprachenkenntnisse von so manchem bisherigen Bundesminister wohl eher der Schleier des Vergessens gelegt sein mag). Aber – sorry: das bietet heute jeder Student z.B. der naturwissenschaftlichen Fakultäten, der Informatik oder der BWL. Einfach nur Standard…eigentlich.
Über die wirtschaftlichen Qualifikationen des Glos-Nachfolgers ist allenthalben bislang nur bekannt, dass er bereits kurz nach dem Abitur als geschäftsführender Gesellschafter der familieneigenen „Guttenberg GmbH“ (Baustoff-Handel und offenbar diverse „Burgschänken“) wirken durfte. Allerdings gehörte der designierte Bundeswirtschaftsminister zwischen 1996 und 2002 (seinem Einzug in den Bundestag) dem Aufsichtsrat der „Rhön-Klinikum AG“ an, die (Stand 2/2009) 47 Kliniken an 36 Standorten in neun Bundesländern betreibt. Letzteres klingt beeindruckend, weist aber auch nicht unbedingt auf bestechende Kernkompetenzen als Ökonom hin.
Das Zentrum seiner politischen Interessen war und ist eindeutig die Aussenpolitik: so ist von Guttenberg Unions-Obmann im Auswärtigen Ausschuss und Vorsitzender der Deutsch-Britischen Parlamentariergruppe. Aber gut: Aussenpolitik ist ja nun mal (inzwischen) vor allem an wirtschaftlichen Interessen und deren strategischer Expansion und Absicherung orientiert – das wäre freilich ein Kontext, in dem der neue Wirtschaftsminister ins Raster der Ressortkompetenzen passen k ö n n t e.
Allerdings: streift man durch die auf der von Guttenberg’schen Homepage (http://www.zuguttenberg.de) abgelegten Veröffentlichungen, so finden sich nur wenige Gedanken oder Ansätze, die – Guttenbergs politische Grundausrichtung mal außen vor gelassen – wirklich Visionäres oder anderweitig Bemerkenswertes offenbaren. Glatt und im geschliffensten Polit-Wording formuliert – aber im Kern bieder, belanglos und unspektakulär. Globalisierung wird von ihm gestreift – aber immer nur unter Hervorhebung der Chancen, sich in der multipolaren „neuen Machtordnung“ nachhaltig zu positionieren. Über die – inzwischen selbst Mittelstufenschülern sowohl abstrakt wie auch höchst persönlich nachvollziehbaren – wirtschaftlichen Risiken der Globalisierung…kein Wort. Über die eher Konflikt- denn Konsenz-Potential beinhaltende Verbreiterung des Hegemonial-Strebens unter der (schon längst widerlegten) Prämisse „Anything goes“ und „The World is a Market“…kein Wort. Obwohl von Guttenberg zuletzt sowohl in „Financial Times“ oder auch der „Welt“ abgedruckt wurde – kein Wort über die Banken- und Finanzkrise. Kein Wort = kein Gedanke, keine Ideen…?
Also: wer wie Seehofer allen Ernstes den hinsichtlich seiner Wirtschafts-Kompetenz blitzblanken Wunderknaben aus oberfränkischem Adelsgeschlecht als Ideal-Besetzung (kann Englisch, kann Konversation, kann fesche Performance) in den Zeiten der dramatischsten Wirtschaftskrise seit Beginn der Industrialisierung per Amtsanspruch in diese existentielle Schlüsselrolle befördert – entpuppt sich als politischer Geisterfahrer. Einer, der blind und in der Annahme, bei seinem Navi handele es sich um einen Autopiloten, in der Rush-Hour mit Tempo 210 auf die A1 bei Köln auffährt. Und im Fond sitzt offenbar schweigend die Dame im pastellfarbenen Kostüm, sms’end sich bei Mme. Sarkozy Modetips einholend und gelegentlich nach vorne fragend: „Sind wir bald dahaaa…?“
Haben eigentlich weder Parteien noch unsere Mainstream-Medien begriffen, dass ein von sowohl Wirtschaftskrise, industriellen und wirtschaftlichen Struktur-Revolutionen und immer massiver zu Tage tretenden sozialen Brüchen bedrohtes Land es sich überhaupt nicht leisten kann, per Schnelldekret einen slick-smarten Von-und-zu auf einen der kritischsten Entscheider-Sessel zu katapultieren ?
Nichts gegen junge Köpfe und unverbrauchte Talente (au contraire !) – aber es wäre eine Frage der Staatsräson gewesen darauf zu achten, dass diese jungen Köpfe mit frischen und unkonventionellen Ideen und Konzepten bestechen. Oder durch maßgebliche Beiträge in einem im aktiven Diskurs stehendes Netzwerk überparteilich und interdisziplinär engagierter Profis und Wissenschaftler. Und weniger mit englischem Sakko-Schnitt, blendend gefletschten Zahnreihen und smartem Parkett-Geplauder.
Ich wünsche dem neuen Wirtschaftsminister Glück (!!) – weniger aus politischem Grundkonsens, sondern weil mir um unser aller wirtschaftliche und soziale Nahperspektiven Angst und Bange wird.
(Spiegel des von mir heute auf www.freitag.de verfassten Blog-Eintrags)
Fürsorge-Opfer Glos: Chronik eines öffentlich erlittenen Burn-Outs? Februar 8, 2009
Posted by etiennerheindahlen in Berlin, Bundesregierung, Bundestag, Ethik, Gesellschaft, Hauptstadt, Krisen-Management, Politik.Tags: Burn-Out, CSU, Ethik, Glos, Merkel, Politik, Politiker, Rücktritt, Regierung, Seehofer, Stoiber, Wirtschaftsminister
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Der traurige Glos will oder kann nicht mehr. Dann darf er nicht resignieren – und jetzt doch. Für mich stellt sich die Frage: hat denn niemand im Kreis der „Regierenden“ gemerkelt, dass der Mann schon lange ausgebrannt und leer ist ? Abgesehen von der Fürsorge- und Treuepflicht der höchsten Wahl-Beamtin für uns, den (eigentlichen) Souverän dieses Staats – wie wird eigentlich die Fürsorgepflicht für den „Staatsbediensteten auf Zeit“ Glos wahrgenommen…?
Flashback in time. Frau Merkel sitzt in der Berliner Elefantenrunde und nimmt wie viele andere die merk- und denkwürdigen Machtansprüche des Gerhard Sch. zur Kenntnis. Kopfschüttelnd und äh-schnaubend neben ihr: der Bayern überqualifiziertester Landesvater aller Zeiten, Edmund St. .
Nur Stunden später stehen folgende Absichtsbekundungen fest: die CDU/CSU will mit der SPD in Form einer grossen Koalition regieren. Mit dabei als prominenter „Super-Minister“: Edmund St., der unter anderem als Wirtschaftsminister den Deutschen deren Wohlstand durch eine neue, digital blühende und global wegweisende Wirtschaft zu sichern und vermehren verspricht. Nun hat er sich ja oft versprochen, der Bayern-Edi – und auch hier erweist sich sein Versprechen als … ja…äh, Missver…sprechen…? Er zieht seine Zusage als Doppel-Minister zurück. Und der einstige Müller und in Sachen parlamentarischer Gestaltungsarbeit eher mehlbleich gebliebene Michael Glos muss als ranghöchster, als christlich-sozialer Ober-Bayer für seinen Landesvater in die Bresche springen.
Von Anbeginn an blieb Glos blass. Presse-Auftritte und TV-Statements klangen sonor, ruhig und in jeder Hinsicht unaufgeregt. Was in anderer Konstellation ja als nicht unangenehm gewertet werden mag, führte im Bezug auf Glos bald zu der Annahme, dass der Christsoziale entweder mit jeder Menge Gottvertrauen – oder im Bewußtsein, die „heilenden Eigenkräfte der Wirtschaft“ würden es schon richten, sein Amt wahrnahm.
Zeit-*Schnipp*: Die Immobilien-Krise in den USA wird zur Banken-Krise, die Lehman-Insolvenz löst eine Lawine aus. Und es ist nicht nur Hardcore-Ökonomen aufgrund der hinreichend bekannten Verflechtungen des globalen und virtualisierten Finanzsystems klar, dass die Lawine nicht im Nordatlantik versinken wird. Doch selbst mitten im Blizzard, als Merkel und ihr Finanzminister die ersten Schirme aufspannen – steht Glos unbeteiligt daneben. Äussert sich in Interviews fast einsilbig, wird immer stiller.
Wer die Bilder aus den letzten Wochen, die einen auf der Regierungsbank in sich zusammen gesunkenen Michael Glos zeigten, vor Augen hat: der Mann ist völlig ausgebrannt. Schon länger. Vielleicht sogar traumatisiert. Da mag oder da kann einer nicht mehr.
Die Merkel – nur wenige Armbreit daneben…hat die sich fürsorglich gerierende Bundeskanzlerin den waidwunden Glos an ihrer Seite (oder am Bein) nie wahrgenommen ?
Was ist oder war denn eigentlich mit des Müller-Michels einstigem Bank-Kollegen und nunmehrigen Doppel-Boß ? War Seehofer mit seinem eigenen Karriere-Management zu sehr beschäftigt ? Er, der doch selbst vor noch nicht allzu langer Zeit nach massivem Zusammenbruch dem „Boandlkramer“ nur knapp entkam ? Wie gehen „die da oben“ eigentlich mit „ihresgleichen“ um ?
Abgesehen davon, dass weder CSU noch CDU für den durchaus absehbaren Fall des zusammenbrechenden Wirtschaftsministers einen personellen „Plan B“ auf dem Schirm hatte. Wie man für so viele – zum Teil schon wesentlich länger absehbare Szenarien – keinen Notfall-Plan hatte. Von einer Strategie ganz zu schweigen. Man mag über politische Inhalte oder Schwerpunkte ja trefflich debattieren und disputieren – die Minima für professionelles Staats-Management sollten aber allgemein für alle verbindlich sein.
Ich meine, die Affäre um den ausgemahlenen Müllermeister lässt bedenkliche und deprimierende Rückschlüsse darauf zu, mit welcher Geisteshaltung unsere ranghöchsten Repräsentanten erst Menschen und Schicksalen, die nicht zu ihrer Polit-Kaste gehören, umgehen.