Boulevard Heiligendamm Juni 8, 2007
Posted by etiennerheindahlen in Bono, Bundeswehr, Campino, Demonstrationen, Feldjäger, Fernsehen, G 8, Geldof, Gesellschaft, Grönemeyer, Grundgesetz, Heiligendamm, IPTV, Journalismus, Media, Medien, n-tv, Politk, Rostock, Spiegel TV, TV, Verfassung.trackback
Das G 8-Treffen in Heiligendamm neigt sich dem Ende zu – doch auch wenn noch die Abschlußkundgebung von „Block G 8“ in Rostock nicht begonnen hat und die Staatschefs (und auch die heute morgen regelrecht angekarrten Delegationsmitglieder der „Schwellenländer“) noch im Feudalbad Heiligendamm weilen ziehe ich für mich ein vorläufiges Resumée der Medien-Berichterstattung des G 8-Treffens.
Bis heute morgen habe ich außer auf http://blog.focus.de/wiegold/?p=105 bei keinem „Mainstream“-Medium den Einsatz von Aufklärungs-Einheiten der Bundeswehr mit Panzerspähfahrzeugen „Fennek“ thematisiert gesehen. Im Vorfeld des G 8-Treffens hatten verschiedene Zeitungen lediglich über Unterstützung durch die Bundeswehr im logistischen Bereich (Transportkapazitäten), bei medizinischer Versorgung (Bundeswehr-Ärzte im zivilen Kreiskrankenhaus) sowie bei der Überwachung des Luft- und Seeraums durch eine Fregatte der Bundesmarine berichtet. Der Einsatz von Pioniereinheiten bei der zusätzlichen Absicherung des „Sicherheitszaun“-Vorfelds durch das Verlegen von S-Drahtrollen wurde vereinzelt berichtet – die nicht ganz zutreffende Begründung aber, daß solches Verlegen der Polizei mangels spezieller Schutzbekleidung nicht möglich und daher die „Amtshilfe“ der Bundeswehr gesetztlich gedeckt sei, wurde widerspruchslos geschluckt. Die besondere „Schutzbekleidung“ besteht in verstärkten Arbeitshandschuhen aus Leder – die hätte sich die „Kavala“ problemlos bei dem zuständigen Wehrbereichskommando Küste I ausleihen können. Das Verlegen der S-Draht-Sperren selbst erfordert keine spezifischen Spezial-Kenntnisse. Die Bundeswehr allerdings darf lediglich im Spannungs- oder Verteidigungsfall zur Unterstützung beim Objektschutz nicht-militärischer Anlagen herangezogen werden. Das auf G 8-TV publizierte http://g8-tv.org/index.php?play_id=1721 und von mir in https://etiennerheindahlen.wordpress.com/2007/06/06/bundeswehr-panzer-amtshilfe-oder-illegaler-einsatz-der-bw-im-inneren kommentierte Video der „Fenneks“ im Überwachungseinsatz für die Polizei und gegen die G 8-Gegner ist sonst nirgendwo thematisiert worden.
Dafür zählte die zweifellos spektakuläre „Greenpeace“-Aktion, in deren Rahmen mehrere Schlauchboote in die Sperrzone vor Heiligendamm und Kühlungsborn eindrangen und von Einheiten der Bundespolizei rabiat abgedrängt bzw. gestoppt wurden, zu den „medialen Highlights“ aller Fernsehsender. Durch alle Nachrichtensendungen und Sonder-Berichterstattungen hindurch wurden die CvDs nicht müde, die Sequenzen im Action-Movie-Stil auf den Schirm zu bringen. Wobei ich mich frage, wie eigentlich z.B. „n-tv“ an die Live-Bilder aus dem Kamerahubschrauber (wem gehörte der eigentlich…?) kam. Dass Polizeihubschrauber ihre zur Lagebeurteilung dienenden TV-Bilder parallel an Fernsehanstalten übertragen (bzw. diese Sender von der „Kavala“-Einsatzleitung in real time mit „Bewegtbildern“ live gefeedet werden) sollte an sich stutzig machen. Für die Sender aber – und natürlich für die aus Heiligendamm berichtenden TV-Agenturen – zählte die „Greenpeace“-Aktion zu den Glücksmomenten des G 8-Gipfels.
Mag es Zufall sein, dass sowohl Agenturen als auch in Folge Redaktionen der „Mainstream“-Medien sich eine außerordentliche Serie an Falschmeldungen im Zusammenhang mit vermeintlichen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei „erlaubten“ ? Die taz hat dies als einziges etabliertes Medium in einem Korrespondentbericht beleuchtet: http://www.taz.de/dx/2007/06/08/a0262.1/text
Die Tendenz zur Boulevardisierung und somit Trivialisierung (man könnte auch formulieren: zur von politischer Meinungsbildung ablenkender Berichterstattung) ist erschreckend. Krawalle = Action = Aufmerksamkeit. Die „Bösen“ sind zwangsläufig immer die „Andersartigen“, „Unkonventionellen“ und „Renegaten“ – ohne dabei tatsächlich mittels simpelster journalistischer Arbeitsweisen das zu hinterfragen, was vordergründig zu sehen ist. Hinweise oder auch konkrete Verdachtsmomente auf den Einsatz von Provokateuren durch „mit dem Schutz der Inneren Sicherheit“ beauftragte Dienststellen oder Dienste wurde nur zögerlich aufgenommen oder „durch-recherchiert“.
Die Inhalte der Zusammenkunft „der Mächtigen“ selbst wurden eher spärlich beleuchtet. Zum einen aufgrund der durchaus eingeschränkten Berichterstattungsmöglichkeiten „aus dem Innersten“ des Konferenz-Zentrums – schliesslich gab es tatsächlich wohl kaum Möglichkeiten zu Gesprächen mit den Delegationsmitgliedern der G 8-Teilnehmer. Zum anderen lag es wohl weniger an den restriktiven Zugangs- möglichkeiten der „Inneren Zone“ in Heiligendamm (und schon gar nicht an den teilweise blockierten Zufahrtstrassen – da ja s.o. die Bundeswehr entsprechende maritime Transportkapazitäten bereit gestellt hatte) – denn offenbar an den verlockenden Freizeitmöglichkeiten, die das Bundespresseamt den akkreditierten Journalisten in Kühlungsborn vorhielt. Immerhin hat sich Spiegel-TV-Online durchaus humorig-gallig diesem Thema investigativ genähert: „Strand, Champagner und Massagen“ http://www.spiegel.de/videoplayer/0,6298,18932,00.html.
Meiner Ansicht nach ziemlich in die Hose gegangen sein dürfte auch das „Deine Stimme gegen Armut“-Konzert in Rostock. Das durchaus ambitionierte Programm – neben engagierten Musik-Größen wie Geldof, Bono, Campino, Grönemeyer etc. traten internationale Persönlichkeiten aus der Anti-Globalisierungsbewegung auf der Bühne auf – ist verschiedenen Presseberichten zufolge nur unter dem „Music & Party“-Aspekt wahrgenommen worden. Ein grösserer Teil der Konzertbesucher war wohl eher an den – bei Eintrittspreisen um 2,50 € zzgl. Vorverkaufsgebühr – extrem billig zu erlebenden Stars interessiert denn an Zuspielern, Interviews und Dokumentationen über die Armuts- und Ausbeutungsproblematik. Nun – wohl auch, weil wirklich an den Themen interessierte und sich engagierende MitbürgerInnen zur gleichen Zeit den Protest an den „Sicherheitszaun“ und die dahinter parlierenden Mächtigen tragen wollten und mussten.
Mein Fazit: Programmverantwortliche, CvDs und auch JournalistInnen „vor Ort“ sollten sich schämen, die tatsächlich nicht weltbewegenden – sondern eben auch uns alle angehenden – Themen zugunsten billigstem populistischen Trash und Boulevard publiziert zu haben. Von den tendenziösen (und meiner Meinung nach demokratiefeindlichen und unzulässig polarisierenden) „Untertönen“ ganz zu schweigen. Journalismus sieht anders aus. Und wenn die bei allen möglichen anderen Gelegenheiten (z.B. bei Paparazzo-Themen) sich auf das Presserecht berufenen Medien-Unternehmen sich nicht bald wieder auf ihre wahren Aufgaben und Pflichten (!) besinnen, dann werden die „Mainstream“-Medien ein ähnliches Armageddon erleben wie zuletzt die Musik-Industrie. Was nicht weiter tragisch wäre, wenn auf alternativen Wegen und mit demokratischerem Hintergrund das Bessere das Überkommene und Korrumpierte ablöst.
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